Paris - Brest - Usedom - Auslandsforumtour 2018

Autor: Jan-Geert Lukner. Alle Rechte am Text und an den Bildern liegen beim Autor.

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Das Organisationskomitee hatte mal wieder ein sehr interessantes Programm entworfen. Grundbaustein sollte die Fahrt mit dem RZD Euronight Paris - Moskau bis Brest sein, wobei aufgrund der zeitlichen Ausdehnung der Tour zum nächtlichen Zustieg in Strasbourg oder Karlsruhe geladen war. Das schöne an langen Nachtfahrten ist allerdings auch die Fahrt in den Abend hinein, bei DSO-Touren noch garniert mit der obligatorischen Gangparty. Und so entschied sich eine ganze Reihe von Teilnehmern, auch Donnerstag Urlaub zu nehmen und bereits in Paris zu starten.

Donnerstag, 08.11.2018

Da ich per Bahnanreise ab Hamburg nicht mehr viel von Paris gehabt hätte (außer bei irre frühem Aufbruch), entschied ich mich, ein 50€-Angebot von Air France ab Bremen anzunehmen, das zeitlich hervorragend passte. Eigentlich hätte der IC eine Stunde später ab Hamburg auch gereicht, doch wollte ich lieber auf Nummer sicher gehen.

EC 9 Hamburg-Harburg 6.57 - Bremen 7.41

Mit der Straßenbahn ist man in Bremen im Handumdrehen am Flughafen. Und so hatte ich jetzt irre viel Zeit. Der Völlerei erster Akt konnte beginnen, ein großes Frühstück in einem Etablissement vorm Flughafen, in dem es bekanntermaßen immer gutes WLAN gibt. Ich mag ja das Frühstück beim goldenen M, und man wollte sich im Laufe der Tour schließlich kulinarisch positiv entwickeln.

AF 1325 Bremen 10.25 - Paris CDG 12.00

Der Flug war wirklich nett. Es waren kaum Wolken am Himmel, so dass man freien Blick nach unten hatte. Es ging über Osnabrück, Wuppertal, über die Kölner Domspitze und dann "durch" die Eifel. Keine Chance, meine bahnfahrenden Mitreisenden zu erspähen, die sich via Saarbrücken näherten. Im Landeanflug auf den Pariser Flughafen Charles-de-Gaulle beschrieben wir eine Runde einmal komplett um Paris herum. Dumm nur, dass ich auf der falschen Seite saß... Nach der Landung gurkten wir ewig über das Flugfeld. Ich dachte erst, wir kämen auf einer Außenposition an, aber wir wurden in ein kleines Hüttchen mitten auf dem Flugfeld gelotst, von dem aus es eine Rampe abwärts und durch diverse Tunnel in ein Nebenterminal-Gebäude ging, von dem man mit dem Shuttlebus (ein Mercedes-Bus!) zum Hauptterminal 2 verfrachtet wurde.

Ab dort konnte man die S-Bahn der Linie B nehmen. Die "all stations" Bahn um 12.29 ließ ich sausen. Da Hafas sie mir nicht auswarf, ging ich davon aus, dass die Express-S-Bahn um 12.36 sie bald überholen würde. Die Beschaffung der Fahrkarten an der "Automatenburg" in der Verteilerebene lief nach etwas Schlangestehen reibungslos. Stück weiter wären sogar noch mehr Automaten ohne Schlange gewesen. Die Einzelfahrt in die Stadt kostete 10,30€ und war in der Menuführung sehr schnell zu finden. Wer nur Geldscheine hat, muss vorher den Münzwechsler neben den Automaten bemühen, doch Kreditkarte ging natürlich auch.

RER B CDG 2 12.36 - Châtelet / Les Halles 13.11

Fast alle Fahrgäste waren in die Bahn um 12.29 eingestiegen, so dass unser Zug gähnend leer war. Ich war schon ganz gespannt auf die Überholung der Bummel-S-Bahn. Wir fuhren dann auch tatsächlich ab CDG 1 ohne Halt bis Gare du Nord, aber mir schien eher, dass wir gemächlich hinter der anderen Bahn herbummelten - selbst dort, wo es viergleisig wurde. Wir kamen dann auch pünktlich im großen Umsteigeknoten Châtelet an. Von der gegenüberliegenden Bahnsteigkante erwischte ich sogar noch eine RER A früher als von Hafas ausgeworfen, diesmal ein Doppelstockzug.

RER A Châtelet / Les Halles 13.14 - Gare de Lyon 13.16

Die größte Herausforderung der ganzen Fahrt war nun, in der Untergrundwelt des Gare de Lyon den richtigen Ausgang zu finden. Nachdem ich schon eine Ausgangssperre passiert hatte, lotsten einen die Wegweiser erstmal auf einen Metrobahnsteig. Von dort gab es wieder Wegweiser zum Ausgang, die auf eine weitere Ausgangssperre zu führten. Ob meine Fahrkarte wohl von einer zweiten Sperre hier am Zielbahnhof akzeptiert wurde? Die Frage stellte sich dann aber gar nicht, denn bei der Sperre musste man gar keine Fahrkarte einführen. Hier sollte nur verhindert werden, dass jemand dort hinein läuft.

Bald gelangte ich dann tatsächlich ins Freie, und als ich dann auch entdeckt hatte, wie ich von dem Parkplatz, auf dem ich mich wiederfand, runter auf die Straße gelangte, hatte ich Paris vor mir! Die Straßenzüge vor mir hätten geradewegs aus dem Prospekt kommen können, alte Stadthäuser, unten an der Straße Läden und Cafés, das Bistro von Alfons, wo sich Janette ihr Baguette kauft, konnte nicht weit sein. Klischee vom feinsten, genau sowas wollte man hier sehen. Ich folgte der Rue Michel Chaslis. Voraus war ein wunderschöner Viadukt einer Bahnstrecke zu sehen, hier mitten im Häusermeer. So gelangte ich auf die breite und von Bäumen gesäumte Avenue Daumesnil, zu der parallel die besagte Viaduktstrecke führt. Bahnen fahren da oben schon lange nicht mehr; jetzt gibt es dort einen Kunst-Wanderweg. Unter dem Viadukt hindurch fand ich dann auch sofort unseren Treffpunkt, das Restaurant L'Encrier.

Dort traf ich fünf Minuten vor den Zugreisenden ein. Das winzige Restaurant war absolute Klasse. Wir hatten das Glück, dass gerade mit unserer Ankunft paar Tische leer wurden. Sonst hätten wir gar keinen Platz bekommen. Es wurden Menüs angeboten - zu für französische Verhältnisse gar nicht mal so hohen Preisen. Für 25€ hatte ich vorweg Birne mit Roquefort Käse übergossen, dann Entenschenkel mit Zucchini und Kartoffeltalern und als Nachspeise Profiterole. Das war der heutigen Völlerei zweiter Teil und das Restaurant ein absoluter Geheimtipp.


Birne unter einer Haube von zerlassenem Roquefort-Käse im L'Encrier.

Als Verdauungsspaziergang liefen wir durch die Bahnhöfe Gare de Lyon und Gare d'Austerlitz und dann ein ganzes Stück an der Seine entlang. Schade war, dass sich die Sonne verabschiedet hatte, sonst hätte man tolle Bilder vom herbstlich-goldenen Paris machen können. Es ging an Notre-Dame vorbei bis zur Pont des Arts, wo wir einen Blick auf die ferne Spitze des Eifelturms erhaschten und dann zur Metro liefen.


Blick von der Brücke der Künste auf die Seine, die hier mehrere Flussarme bildet.

Da wir noch etwas Zeit hatten, drehten wir eine kleine Runde durch den Pariser Untergrund. Von Pont Neuf ging es zunächst mit der 7 nach Châtelet, dann mit der 11, auf der noch ältere Fahrzeuge unterwegs waren, bis Place des Fêtes. Hier konnten wir durch paar Gänge zur 7b wechseln, die hier in einer eingleisigen Schleife mit zweigleisigen Stationen verkehrt. Ab Botzaris war die Schleife zuende und es ging straks auf zweigleisiger Strecke der Endstation Louis Blanc entgegen.

Die Station Louis Blanc liegt schon in der Nähe des Ostbahnhofs. Wir gingen das Stück zu Fuß in der Hoffnung, dass wir noch etwas Proviant bekämen. Da waren tatsächlich klasse Fachgeschäfte für kulinarische Köstlichkeiten entlang des Weges, Wein- und Käsefachgeschäfte, doch deren Preisvorstellungen ließen uns dann doch lieber einen kleinen Supermarkt aufsuchen. Dort gab es Wein, Wasser und Knabberkram genug. Nebenbei flogen verbal die Fetzen zwischen einem Marktmitarbeiter und einem "Kunden", der wohl an der Selbstbedienungskasse geschummelt hatte...

Am Gare de l'Est hatten wir immer noch Zeit. Martin hatte eine kleine Bar neben dem Bahnhof als weiteren Treffpunkt bekannt gegeben, und dort stießen wir auf weitere Teilnehmer der Fahrt. Dort gab es Bier für 7 Euro das Glas. Dafür sprach der Wirt aber deutsch... Zurück am Bahnhof war der Zug bereitgestellt. Die Provodnizas auf dem Bahnsteig wirkten wie Boten aus einer anderen Welt, ein Stück Russland in Paris. Schauten die Damen anfangs noch etwas streng (so jedenfalls mein erster Eindruck), erwarben wir uns sehr bald ihr Wohlwollen, denn Martin hatte ihnen perfekte Listen mit unserer Abteilbelegung ausgedruckt - sowas haben die wohl sonst gar nicht zur Verfügung.


Martin weist die Provodnizas ein, wer wir sind, was wir wollen und wo wir schlafen. Die Damen von der RZD freuen sich über die Listen.


Bevor wir uns östlichen Speisekulturen zuwenden, gibt es erstmal noch etwas französischen Wein.

EN 451 Paris Est Do 18.58 - Terespol Fr 17.47
weiter als
D 24JI Terespol Fr 18.32 MEZ - Brest Central Fr 21.18 OESZ

Die Fahrt startete schon mit etwas Verspätung, aber das war uns echt egal. Einige trafen sich nun im polnischen Speisewagen. Großen Hunger hatte man zwar nicht, aber man saß dort einfach besser, und, nun ja, ein kleines Schnitzelchen geht doch immer, oder etwa nicht? Der Völlerei dritter Akt war geschrieben. Im Klönschnack ging die Zeit jedenfalls schnell vorüber, und bald wurde es Zeit, sich in Strasbourg nochmal etwas auf dem Bahnsteig die Beine zu vertreten oder der Baureihe 181 zu huldigen, die nur noch einen Monat lang diesen einen letzten Personenzug ziehen wird. In Karlsruhe folgte die Begrüßung fast aller noch nicht zu uns gestoßenen Mitfahrer. Der neue Tag war angebrochen, und Yannick und ich hielten es für ratsam, die Kojen zu beziehen.

Freitag, 09.11.2018

Unser Wagen machte einen so gut gepflegten Eindruck, dass wir dachten, er sei vor der Fahrt direkt aus der Schachtel ausgepackt worden. Es waren nahezu gar keine Gebrauchsspuren zu erkennen! Und er fuhr wahnsinnig ruhig, er "schwebte" geradezu über die Gleise! Dementsprechend habe ich auch richtig gut geschlafen. Erst in Berlin wurde ich während eines längeren Aufenthaltes von Blechelse geweckt. Klingt übel, war es aber nicht.


Beim Einstieg stehen Teekanne und -gläser bereit, außerdem liegen dort die Schlüsselkarten für die Abteiltüren.

Yannick ließ ich weiterschlafen, doch ich selbst lief auf Höhe Erkner mal zur Fresskiste, um zu schauen, wer sich aus der Gruppe denn dort wohl schon eingefunden hat. Und tatsächlich war ich nicht der Erste! Das "Polnische Frühstück", Rührei mit Schinken, war neben Kaffee der Renner des Morgens. So ging es durch die trüben Novemberwälder Brandenburgs, dann über die Oder hinüber und weiter durch die trüben Novemberwälder Polens.

War es 10 oder sogar schon halb 11, als wir uns auf den Weg zurück ins Abteil machten? Ist auch eigentlich egal. Dass der heutige Tag nur aus schlafen, essen und natürlich trinken bestehen würde, war quasi absehbar. Was soll man dazu schreiben? Der Reisebericht müsste lang sein - der weiten Fahrt angemessen, doch man konnte sich beim Blick in die trübselige Landschaft so herrlich fallen lassen, so entspannen, dass es gar nicht viel zu berichten gibt. Wir erlebten Bahnreisekultur in Bestform!

So gegen halb 1 saßen wir natürlich schon wieder im Speisewagen. Wir waren inzwischen in Poznan von der direkten Strecke abgebogen. Wegen dortiger Bauarbeiten mussten wir über Torun und Iława nach Warschau fahren. Die Fresskiste war voll, hauptsächlich durch unsere Gruppe. Die absolut souveräne Kellnerin begann anfangs ein wenig hektisch (aber immer noch sehr freundlich!) zu werden, zumal ja auch rechtzeitig vor Warschau der Feierabend vorbereitet werden musste. Dann konnte sie aber doch noch (fast?) alle Wünsche erfüllen. Für mich gab es Piroggi. Oder waren es Palmeni?

Das von Martin angekündigte Wehrstellwerk konnte ich im Vorüberflitzen leider nicht erkennen. Auf der Magistrale Danzig - Warschau rollten wir nun zügig auf die polnische Hauptstadt zu. Ich betrieb mal wieder etwas Augenpflege. Zu diesem Zweck waren in unserem Abteil die oberen Liegen stets bereit; darunter konnte man immer noch bestens sitzen. In Warschau gab der Speisewagen-Aussetzhalt in Wschodnia eine Gelegenheit, paar neue Vorräte zu bunkern. Erik, nochmal herzlichen Dank, das für dich vorgesehene Puddingteilchen hat echt gut geschmeckt und war genau das, was ich gebraucht hatte :-)


Füßevertrethalt in Warszawa-Wschodnia.

Bei etwas Gangplausch und nem Bierchen ging es stramm ostwärts. Als der Schaffner fälschlicherweise die Annäherung an die Grenze verkündete, liefen wir in unser Abteil zurück. Yannick, ich und einige andere hatten nämlich unser Abteil nicht im Gruppenwagen, sondern zwischen normalem Publikum im nächsten Wagen. Das "normale Publikum" schienen ausschließlich Russen zu sein. Für Westeuropäer ist der Zug vermutlich wegen des Transitvisums für Weißrussland eher unattraktiv.

Der Schaffner hatte sich etwas verschätzt. Der Zug hatte nun doch ein wenig Verspätung, und es dauerte fast noch eine Stunde, bis wir endlich im letzten EU-Bahnhof, in Terespol, einliefen. Draußen war es mittlerweile wieder stockfinster. Die Kontrolle durch die Polen war harmlos. Nachdem der Zug wieder angeruckelt war, folgte bald in langsamem Tempo die Brücke über den Grenzfluss Bug. Nicht weit hinter der Brücke hielt der Zug in der Dunkelheit an. Sind wir schon da? In der Finsternis zeichnete sich schemenhaft die Silhouette eines amtlich aussehenden Hauses ab, das auf der Karte als Sperrgebiet markiert war. Dunkle Gestalten tauchten auf und machten sich daran, den Zug zu besteigen. Die weißrussischen Grenzer waren da!

Einige der illustren Gestalten hätten geradewegs aus dem Räuber Hotzenplotz entsprungen sein können, besonders ein älterer Zöllner mit grauem Spitzbart. Die junge Dame, die uns extremst resolut kontrollierte, verglich Passfoto und Gesicht sowie Passnummer und Nummer auf der Einreiseerlaubnis (dazu später mehr) schon mit einer japanisch anmutenden demonstrativen Genauigkeit. Yannick befahl sie aufzustehen, vielleicht war weiter oben das Licht besser... Unsere Pässe wurden einkassiert, der Schaffner musste sie halten, und beide verschwanden mit ihnen. Vermutlich lag der Stempel in dem finsteren Amtsgebäude, wo die Grenzerin bei Kerzenschein ihres Amtes walten würde... Ansonsten liefen viele wichtig aussehende Gestalten mit ebensolchem demonstrativen In-die-Abteile-Beobachten durch den Zug, taten uns aber nichts. Irgendwann ruckelten wir allerdings wieder an. Die Pässe waren noch nicht wieder zurück. Aber der Stempel hatte wohl im Dienstabteil gelegen; die ganze Kontrolltruppe war noch an Bord, und einige Kilometer weiter hatten wir mit den dann bald zurückgegebenen Pässen unseren Zielbahnhof Brest erreicht.


Meine Damen und Herren, Willkommen in Brest!

Plötzlich war es dann auch schon später Abend. Das lag weniger daran, dass die Grenzabwicklung so lange gedauert hätte, sondern eher an der Uhrumstellung. Da Weißrussland ganzjährig die Sommerzeit anwendet und hier die Zeitzonengrenze zur osteuropäischen Zeit ist, mussten wir die Uhren gleich um zwei Stunden vorstellen. Aus beinahe 20 Uhr war nun fast 22 Uhr geworden. Da traf es sich gut, dass unser Hotel Bug gleich am Ende der Bahnhofsbrücke auf uns wartete. Beim Spaziergang dorthin rochen wir Kohle. Aus vielen der in dem riesigen Bahnhof abgestellten Personenwagen kräuselte sich der Rauch der Kohleöfen auf den Dächern. An einem Zug war ein Trecker mit Anhänger gerade dabei, Kohle nachzuliefern. Am südlichen Hausbahnsteig (EG in Insellage) stand ein Nachtzug nach Minsk bereit. Er würde mit Diesel in einem weiten südlichen Bogen gen Hauptstadt fahren und damit tatsächlich eine Nachtrelation bedienen.


Blick über die Bahnhofsanlagen von Brest.

Im Hotel wurde uns ein Abendimbiss dargereicht. Es gab Salat und mit Schafskäse (?) gefüllte Kartoffelpuffer. Hmm, danach noch ein Küchlein - das war's. So richtig durchgesättigt fühlten wir uns nicht. Zwar hatte ich nach den mittäglichen Palmeni in Warschau noch Eriks Puddingteilchen weggefuttert, aber man hatte ja nun doch wieder gut Appetit bekommen.

Jetzt war allerdings erstmal die Zeit der Huldigungen. Unser Organisationskommitee bekam von uns die Geschenke überreicht und revangierte sich auch mit einigen wertvollen Werbegeschenken (anhand derer Martin sich verriet, dass er längst nicht nur Bahnfahrkarten verkauft bzw dass Fluggesellschaften und Kreuzfahrt-Anbieter darauf hoffen, dass er mehr im Sortiment hat...). An die Geschenke kam man allerdings nur ran, wenn man paar Fragen aus nunmehr acht Jahren Auslandsforum-Touren beantworten konnte. Erinnerungen wurden wach... Zum Abschluss mussten wir uns auch noch gegenseitig kyrillisch beschriftete Namensschilder zuordnen und umhängen...

Es ging nun auf örtlichen Uhren stramm auf Mitternacht zu. Auf unseren inneren Uhren aber längst noch nicht. Ohne viel Hoffnung starteten wir zu acht einen Spaziergang nach downtown Brest. Die Stadt machte einen äußerst gepflegten Eindruck. Martin hatte bereits angekündigt, dass Weißrussland wohl die ex-Sowjetrepublik sei, die (zumindest äußerlich) am besten in Schuss sei. Und natürlich sah man nirgends Graffiti usw. Gleich hinterm Hotel querten wir ein Anschlussgleis, das direkt neben uns durch ein kunstvolles Tor in einem altehrwürdigen Gebäude verschwand. Ein wirklich wichtiges Gebäude: Die Belalco-Brennerei, der größte Wodka-Produzent des Landes.

Zur Fußgängerzone Sovetskaja war es nicht weit. Und die war ganz schön lang. Und ein wenig lebte es auf ihr sogar noch; ein Nachtclub hatte sogar gerade erst aufgemacht, Burger King hatte hingegen gerade zu gemacht. Nach einer vollständigen Bestandsaufnahme der Lokalitäten kehrten wir zu einer Kneipe mit dem typisch weißrussischen Namen "Draft House" zurück. Man hatte bis 2 geöffnet, was unserer inneren Uhr doch sehr entgegen kam. Und wider Erwarten konnten wir dort nicht nur richtig gut sitzen und trinken, sondern uns auch zwei große warme Speiseplatten mit verschiedenen Kleinigkeiten sowie zwei Pizzabrote schmecken lassen. Das Bier wurde in großen, gekühlten Vierliter-Türmen serviert. Ja, das war ein schöner Tagesabschluss! Als das Personal gegen 2 Uhr langsam nervös wurde, traten wir den Rückweg an.


Wenn das Bier größer ist als der Erik...

Samstag, 10.11.2018

Frühstücken erst um 9 Uhr hatte so verheißungsvoll geklungen. Wir waren ja immerhin gegen 1 Uhr nach innerer Uhrzeit ins Bett gekommen. Moment! Bringe ich jetzt was durcheinander? Ach ja, ärgerlich... Wenn wir in "innerer Uhr" rechnen, sollte man nicht vergessen, dass das Frühstück dann schon um 7 Uhr ist. Aber fünf Stunden Schlaf sind ja auch schon was schönes... Zum Glück hatte ich mitbekommen, dass sich mein Handy gegen meinen Willen auf die lokale Zeit eingelassen hatte, und so hallte um 8 Uhr also meine Weckmelodie, der "Train from Bloemfontain" (Daniel Pemberton, Monster Moves), laut durchs Zimmer... Als Frühstück gab es neben einem Schinken-Omelette noch paar Pfannekuchen mit verschiedenen Marmeladenvarianten, wobei die nur verschieden waren, wenn man mal ne Portion von einem anderen Tisch geklaut hat.

Gegen 10.30 standen wir alle an der nahegelegenen Bushaltestelle und enterten Linie 5 zur Festung. Gut, dass diese Linie nicht von Marschrutkas bedient wurde... Weit hatten wir nicht zu fahren. Am südwestlichen Stadtrand, unweit der Eisenbahnbrücke über den Bug und im Bereich der Mündung des Muchawez in den Bug, liegt die "Heldenfestung". Hier feiert sich das Land, weil das Fort im zweiten Weltkrieg einen ganzen Monat gegen die Deutschen standgehalten hat. Und so wirklich bescheiden war das alles jedenfalls nicht. Aber gerade der Gigantismus war es, der die Sache eindrucksvoll machte. Doch fangen wir von vorn an.

Vorbei am Eisenbahnmuseum liefen wir in die bestens gepflegte Parkanlage der Heldenfestung. Dabei ging es geradewegs auf einen großen Betonklotz zu, in dem als Höhlung ein Stern dargestellt war. Beim Näherkommen wurde eine laute Radiostimme von "damals" laut, anschließend ertönte Marschmusik aus dezent versteckten Lautsprechern im Inneren des Klotzes. Auf Youtube findet man das "Tonband": https://www.youtube.com/watch?v=kWaqQ2vkCkM&t=11. Von diesen stimmungsvollen Gesängen untermalt gelangten wir mit der Sternenhöhlung über uns durch das Innere des Betonklotzes. Egal, in welche Richtung man von innen schaute, der obere Rand des Blickfeldes hatte immer eine Sternenform. Der Blick folgt dem Weg weiter und fällt auf - oh mein Gott! - etwas noch gigantischeres. Hinter den Bäumen in der Ferne ragte das Gesicht eines riesigen Soldaten auf!


Blick aus dem Sternen"felsen" in die Anlage. In der Ferne ist der gigantische "Riese" aus Beton hinter den Bäumen zu sehen. Der 100m hohe Obelisk daneben verschwindet im Nebel.

Es handelt sich um einen weiteren Betonklotz, die 34m hohe Skulptur "Der Mut", die es 2014 auf die von CNN veröffentlichte Liste der elf hässlichsten Denkmäler weltweit geschafft hat. CNN hat die Nominierung später unter Entschuldigungen und Anerkennung der "Symbolwirkung für die Soldaten, die ihr Leben gaben, um die Nation zu verteidigen" zurückgezogen. Auf dieses Kunstwerk liefen wir nun also direkt zu. Dabei ging es immer wieder an Ruinen der alten Festungsgebäude vorüber. Beiderseits des riesigen Platzes, zu Füßen von der "Mut"-Skulptur und dem hohen Shtyk-Obelisken, gibt es noch paar ältere Gebäude, in denen zum Teil Museen enthalten sind.


Schau' mir in die Augen, kleiner Deutscher! Die Skulptur "Mut".

Brest gehört seit wenigen Monaten zu einigen neu eingerichteten visafreien Zonen in Weißrussland, mit denen das Land den Tourismus ein wenig ankurbeln möchte. Einfach so mit Reisepass einreisen kann man aber trotzdem nicht. Martin hatte uns personalisierte Einreiseerlaubnisse ausgestellt, zu denen man auch touristische Leistungen buchen musste. Als eine davon hatte Martin eines der Museen hier in der Heldengedenkstätte ausgewählt, in das wir nun also gegen Abgabe eines Gutscheins hinein kamen.

Das Museum hatte seine Exponate ausschließlich in russisch oder meinetwegen auch weißrussich beschriftet. Lediglich am Anfang jedes Raumes gab es eine kurze Inhaltsangabe auf englisch, die aber praktisch wertlos war. Laut Wikipedia hat man hier auch ganz gut an der Wahrheit herumgeschraubt. Die Festung wurde zwar rund einen Monat gehalten, doch die daran anschließende Gefangennahme oder gar Ergebung der Sowjetsoldaten hatte ja nun gar nicht in das damalige Heldenbild gepasst. Entsprechend soll dieses Thema in der Ausstellung weitestgehend verschwiegen werden; sogar von "angepassten" "Original"texten in der Ausstellung ist die Rede. Ich kann es nicht beurteilen.

Wir sind noch nicht mit allen Kuriositäten durch! Belarus bzw sein "Landesvater" Lukaschenko hat der Gedenkstätte einen weiteren Titel verliehen: "Zentrum der patriotischen Erziehung der Jugend". Äußerlich zeigt sich das so, dass hier Jugendliche die Mahnwache am Denkmal der Gefallenen abhalten. Normalerweise sind die dabei uniformiert, doch heute fand wohl ein Casting dazu statt. In legerer Straßenkleidung oder gar Jogginghose (ok, das war hier in Belarus eine linguale Doppelung) durften die ca 13-14jährigen zu Füßen von Obelisk und "Mut" aufmarschieren und wurden dabei von älteren Kindern genau beobachtet und bewertet. Und ein ganz Alter vom Typ KGB beobachtete genau die Jugendlichen und nahm zwischendurch auch uns Zuschauer unverholen ins Visier. Hat etwa jemand von uns gelacht? Ich hoffe nicht! Es war schwierig...

Später hatte sich die Situation normalisiert, die Kinder hatten Uniform an, der Alte nicht, und alle paar Minuten gab es Wachablösung. Die Jungs durften sogar Gewehre halten, dadurch sah das Marschieren aber nicht mehr so syncron aus, da sie die Gewehre festhalten mussten. Nach dem Besuch hier kann ich Martins und insbesondere Eriks Liebe für die "Sowietalgie", auf die man wohl in allen GUS-Staaten noch reichlich - ob aus Sowjetzeit oder vom jeweils aktuellen Nachfolgeregime - trifft, verstehen. Da klappt einem sicher mit schöner Regelmäßigkeit die Kinnlade runter...

Hier zwei Videos davon:
Casting in Zivilkleidung
Marschieren in Uniform

In diesem Zusammenhang und nur der Vollständigkeit halber soll dann auch noch erwähnt werden, dass dieser Brest-Besuch nicht nur meine persönlichen "ersten Schritte im Osten" (so habe ich nach der deutschen Wiedervereinigung auch meine erste Tour mit dem 27er Bus nach Boizenburg genannt, aber hier ist es ja auch wieder ein "größerer Schritt" hinein in die Sowjetkultur gewesen...) waren, sondern auch mein erster Aufenthalt in einer Diktatur. Auch wenn das Land äußerlich einen guten und modernen Eindruck macht, so interessant ist es zu beobachten, wie der derzeitige Präsident Lukaschenko seinen erst vierzehnjährigen Sohn intensiv in die Politik einführt. Irgendwie muss ich da an Nordkorea denken...

Ok, soviel dazu. Wer sich für Näheres interessiert, dürfte in einschlägigen Publikationen genügend Informationen finden. Wir liefen durch den Stern zurück zur Straße und auf der anderen Seite direkt ins Eisenbahnmuseum. Auch dieses hatte Martin direkt mit der Einreiseerlaubnis gebucht. Das Museum bestand im Wesentlichen aus einem gepflegten Freigelände, aber durch die deutliche Überzahl von Dampfloks war der interessante Rest relativ überschaubar. Da dann bald einer der im spärlichen Takt fahrenden Busse zurück in die Stadt fahren sollte, hielten wir uns auch nicht zuuuu lange auf und enterten bald einen gut gefüllten Stadtbus zurück ins Zentrum. War ich schon in Paris über den Mercedes-Bus erstaunt, fand ich hier den Stern auf dem Lenkrad des sehr einfachen Busses noch exotischer...


Unsere Reiseleitung wartet am grünen Höflichkeitstelefon auf einen Anruf vom Präsidenten. Vielleicht hätten sie lieber am roten Dringlichkeitstelefon warten sollen...

Nach einem kurzen Spaziergang entlang der Fußgängerzone, die mittags dann doch deutlich stärker bevölkert war als um 2 Uhr nachts, gab es einen kleinen Mittagsimbiss im kleinen Restaurant "La Kave". Na ja, man hatte doch schon wieder gut Hüngerchen, und so gab es für mich einen Teller Borschtsch vorweg und dann ein außerordentlich leckeres Gericht von der Vorspeisenkarte mit einem Fleisch-Pilz-Ragout an vielen kleinen Palatschinken. Später sollte ich mich noch freuen, dass ich nicht nur paar Palmeni genommen hatte... Eine Station gab es noch auf dem Weg zum Bahnhof: Die altehrwürdige Belalco-Destille hatte natürlich auch einen Fabrikverkauf. Der machte nun das Geschäft des Monats, beschränkt eigentlich nur durch die Zollbestimmungen für die Wiedereinreise in den goldenen Westen (ja, ich meine Polen).


Orthodoxe Kirche direkt gegenüber von...


Belalco. Im Werksverkauf wurde Großeinkauf gemacht.

Von der Fußgängerbrücke hatte man einen guten Ausblick über die Bahnanlagen. Da mittlerweile sogar etwas Sonne herausgekommen war, konnte man mal paar unkonventionelle "Querschüsse" über den Bahnhof machen, in dem viele Wagenreihen des einheitlich blauen Fuhrparks der BC auf ihre nächsten Einsätze warteten. Dabei begnügten wir uns mit Handyfotos.


Die Kohleöfen in den Wagen räuchern vor sich hin, weiter hinten steht ein Dieseltriebzug zur Abfahrt bereit. In Weißrussland sind nur wenige Hauptachsen elektrifiziert; es gibt viel Dieselverkehr.

Am Bahnhof trudelten dann nach und nach alle wieder ein. Als die Zeit langsam pressierte, denn die Zollabfertigung macht eine halbe Stunde vor Abfahrt zu, mussten wir das Gruppenbild vor dem Bahnhofsportal halt ohne die letzten Nachzügler machen.


Wie klein die Gruppe doch vor dem großen Hauptportal des Bahnhofs wirkt... (Foto von Sven)

Die Angaben, wann denn die Pass- und Zollkontrolle vor Zugabfahrt geschlossen wird, gingen ein wenig auseinander. Am besten, man war eine halbe Stunde früher da. Es war schon beachtlich, was hier für nichtmal eine Handvoll internationaler Züge für eine Infrastruktur bereitgehalten wurde. In einer zusätzlichen, für eben jenen internationalen Verkehr bestimmten Schalterhalle mussten wir erstmal warten. Hinaus führten zwei altehrwürdige Holztüren mit modernen Bildschirmen oben drüber, die signalisierten, dass die eine Tür für Fahrgäste war, die nichts zu verzollen hatten, und die andere für Leute mit Zollgut.

Irgendwann bewegte es sich hinter den Türen und sie wurden von hinten aufgeschlossen. Man trat nun in einen Raum mit diversen Passbuden – wie im Flughafen! Der Unterschied war nur, dass die modernen Buden im Stil ein wenig dem alten Gebäude angepasst waren und dass so viele davon besetzt waren, dass kaum Wartezeit entstand. Auch hier wieder der Abgleich von Passbild und Originalvisage mit demonstrativer Genauigkeit und hochhalten des Passes neben das Gesicht zum besseren Vergleich. Und dies sogar zweimal, vor dem elektronischen Einlesen des Passes und dem Stempeln und danach bei der Rückgabe.

Hinter den Passbuden wurde es noch flughafenmäßiger! Hier waren doch glatt Dutyfree-Shops! Die wurden dann auch ausgiebigst genutzt, denn alle Gruppenteilnehmer waren noch nicht mit der Höchstmenge an Alkohol und Zigarretten ausgestattet. Es folgten nun weitere Holztüren, die auf den Bahnsteig führten. Hier wurden die Fahrkarten kontrolliert. Dahinter stand am nördlichen Hausbahnsteig der internationale Regio nach Terespol bereit. Eine wirklich illustre Normalspurfuhre, bestehend aus einer polnischen Ellok und zwei eigens für diesen Verkehr umgespurten weißrussischen Platzkartny-Wagen. Wobei hier auch wohl die Handvoll umspurbarer Platzkartny-Wagen, die es je gegeben hat, mitlaufen sollen.

R 125BJ Brest 17.00 OESZ - Terespol 15.22 MEZ

Bei den vielen Reiseberichten aus den GUS-Staaten hatte ich mich ja schon immer über diese Wagen gewundert. Es erschien mir furchtbar, wie die Leute hier zusammengepfercht tagelang auf diesen hart aussehenden Pritschen unterwegs sein mussten. Nun die Bestätigung: Die Wagen sind furchtbar, die Pritschen sind hart. Vor allem: Abgesehen von Elektritschkas scheint es ja auch im Regionalverkehr gar nichts anderes zu geben als diese Wagen, die ja gar nicht zum sitzen gemacht sind, denn es fehlen jegliche Rückenlehnen. Das sind so die Momente, wo man seine gute „Wagen 7 bleibt heute verschlossen-DB“ zu lieben anfängt…

Die Fahrt durch die weiten verschlungenen Gleisanlagen von Brest und vorbei an mehreren Umspurhallen war ganz interessant, auch wenn die Rundumsicht aus unserem Platzkartny eher eingeschränkt war. Ab dem Amtsgebäude, vor dem wir auf der Hinfahrt angehalten hatten, war die Strecke beiderseits hoch eingezäunt. Das ging so bis an die Brücke ran und setzte sich auf polnischer Seite bis in den Bahnhof Terespol fort. Rechterhand sah man in einiger Distanz eine weitere Bahnbrücke über den Bug. Deren nicht elektrifiziertes Gleis näherte sich vor Terespol nun von rechts. Offenbar passieren dort also auch Güterzüge mit Diesel die Grenze.

Der Bahnhof Terespol befindet sich gerade im Umbau. Durch einen abgetrennten „Auslandsteil“ des einen Bahnhofstunnels wurde man erstmal auf die dem EG abgewandte Seite des Bahnhofs geleitet, wo ein nagelneues Zollabfertigungsgebäude auf uns wartete. An Passbuden waren nur zwei besetzt, eine für EU-Bürger, auf der es aber erst gar nicht vorwärts ging, und eine für alle. Dahinter wollte ein Zollbeamter meinen Rucksack durchleuchten, was ihn aber auch nicht weiter brachte, denn ich hatte nur meine Wasserflasche dabei.

Durch einen weiteren Tunnel ging es nun wieder unter allen Gleisen hindurch zum EG, dann ein Stück die Dorfstraße runter bis zu einer Pizzeria, in der Martin uns angemeldet hatte und in die wir mit allemann auch so gerade hinein passten. Ja, die Stuhlkapazität reichte, die des Pizza-Ofens aber nicht. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich Nudeln genommen. Leider schaffte man es nicht, in den zwei Stunden, die wir dort waren, alle Pizzen fertig zu stellen. Zwei von uns musste am Ende ihre Pizza im Karton zum Mitnehmen entgegen nehmen und meine Bestellung war wohl komplett verschütt gegangen. Doof! Zum Glück hatte ich heute Mittag nicht nur die ganz kleine Portion gewählt.


Nett saß man ja in der Pizzeria von Terespol.

Aber der Eisbär, Jedi und einige andere hatten sichtlich Spaß am kellnern, um die Sache überhaupt ein wenig im Fluss zu halten, denn der Pizzamann war mit der Bedienung seines Ofens ausgelastet und die zwei Frauen hingen lieber im Hinterraum ab als sich um die Gäste zu kümmern. Sehr merkwürdige Geschichte, obwohl man dort eigentlich recht gemütlich saß. Rechtzeitig zum letzten SEV-Bus des Tages liefen wir zum Bahnhofsvorplatz zurück.

SEV 11832 Terespol 18.34 - Chotyłów 19.18

Aufgrund der Umbauarbeiten im Bf Terespol verkehrten die Regiozüge erst ab Chotyłów. Einen Direktbus gab es nicht, und das Bedienen des Bf Małaszewicze erforderte eine ewig lange Stichfahrt durch die nächtlichen Wälder. Schade, bei Helligkeit wäre das alles hoch interessant gewesen, befindet sich hier doch ein gigantisches Gleisgewirr aus Normal- und Breitspurgleisen, das zu diversen Umspuranlagen führt bzw mit dem auch polnische Gewerbegebiete an die Breitspur angeschlossen sind.

R 11832 Chotyłów 19.28 - Łuków 20.31

Eine nicht enden wollende Fahrt mit einem Umbau-Kibel durch die Dunkelheit mit dichten Haltabständen. In Łuków hatte ich ja nun wirklich gehofft, am Bahnhof irgendwas zum beißen kaufen zu können, doch im Bahnhof gab es gar nichts und der Lebensmittelladen gegenüber hatte seit einer halben Stunde geschlossen. Das war ja nun schade…

TLK 28172 Łuków 21.02 - Świnoujście So 8.26

Der Nachtzug fährt eigentlich nur über Łuków, weil die direkte Strecke von Lublin nach Warschau auf längere Zeit gesperrt ist. Bis Łuków geht es sogar mit Diesel – diese Umleitung hatten wir ja selbst auf der letztjährigen Forentour erfahren. Martin hatte für die Gruppe im TLK einen zusätzlichen Schlafwagen organisiert. Mit sechs Leuten waren wir allerdings im anschließenden normalen Schlafwagen untergebracht, einem uralten Görlitzer. In dem kamen wir Wenigen dann auch zu einem Erlebnis, dass die Forentour erst „echt“ machte, nämlich zu einem Heizungsausfall. Das war allerdings nicht ganz so wild wie seinerzeit bei Tour Nr 1 in Serbien, denn das Bett war warm und morgens heizte der Kaffee nochmal gut auf. Erstmal gab es abends allerdings noch wieder etwas Gangparty, wo irgendjemand netterweise ne Tüte Chips rumgehen ließ. Hinter Warschau verzogen wir uns allerdings in die Betten.

Sonntag, 11.11.2018

Ein markantes Datum, das mich immer wieder an die erste Auslandsforumtour erinnert, die am 11.11.11 in Wien begann. Ich hatte ganz brauchbar geschlafen, doch ab Stettin begab ich mich mal in die aufrechte Position. Die Landschaft war aaaaaufregend. Nur Bäume vorm Fenster. Später kam als einziger Höhepunkt der Piste die Brücke über die Dziwna rüber nach Wolin. Nach Ankunft im netten kleinen Bahnhof von Świnoujście, der auf der Insel Wolin liegt, ging es zur Fähre über die Świna, einem weiteren Abfluss aus dem Stettiner Haff. Denn die Innenstadt von Świnoujście liegt auf deren anderer Seite auf der Insel Usedom. Nach Luft, Schiene, etwas Straße kam ich hier nun mit dem Wasser in den Genuss der letzten möglichen Verkehrsinfrastruktur auf dieser viertägigen Reise.


Nun gab es auch noch ne lustige Seefahrt... Auf der Świnafähre von Swinemünde.

Nach Ankunft der Fähre trennten sich die Wege der Gruppe. Einige wollten bereits um 9.17 mit der UBB ab Świnoujście Centrum fahren, die meisten anderen hingegen erst um 11.17. Ich lag genau dazwischen, da ich um 10.17 die beste Verbindung nach Hamburg hatte. Zusammen mit den 11.17-Leuten ging es in ein Hotel unweit der UBB-Station, wo ich nun auch noch eine Stunde Zeit hatte, das Frühstücksbuffet abzufräsen. Und das war wirklich gut. Besonders mag ich ja dieses polnische Rührei, in dem immer noch schön große Ei-Brocken enthalten sind. Um 10 verabschiedete ich mich von den anderen und machte mich nunmehr allein auf zum Kopfbahnhof der Usedomer Bäderbahn, wo ein einteiliger 646 wartete.

RB 18814 Świnoujście Centrum 10.17 - Stralsund Hbf 12.47

Dieses Fahrzeug kam eindeutig gleich hinterm Platzkartny! Fünferbestuhlung, dichter Sitzabstand und ein weit in den Kniebereich des Fensterplatzes ragender Mülleimer machten dieses Fahrzeug einfach unmöglich. Immerhin blieb der Bummelzug leer, aber nach zweieinhalb Stunden Fahrt (darin enthalten 20 Min Aufenthalt in Züssow für – äh – ja, für was eigentlich genau?) hatte ich sowohl vom Fahrzeug als auch von dem lahmen Gezottel von einer Haltestelle zur nächsten entschieden genug. In Stralsund hatte mich dann endlich der geliebte DB Fernverkehr wieder und ich freute mich auf einen schönen Ersteklasse-Platz. Der Zug wurde angekündigt mit „Wagen 7 ist verschlossen“. Ups, das wird doch nicht die erste Klasse sein? Nein, war es zum Glück nicht. Und ich bekam einen schönen Gangplatz, der erst ab Lüneburg reserviert war.

IC 2377 Stralsund Hbf 13.25 - Hamburg-Harburg 16.37

Zu allem Überfluss kam nun auch noch die herrliche Novembersonne raus und ließ uns durch ein goldenes Mecklenburg gleiten. Wegen der Eingleisigkeit zwischen Bad Kleinen und Karlshöhe mussten wir 17 Minuten vor Little Spa warten, doch zum Ende der Fahrt hatte sich die Verspätung wieder auf sieben Minuten reduziert. Die Wahl der 1.Kl-Investition war gut gewesen. Das Abteil füllte sich nur auf drei Leute; erst ab Hamburg Hbf waren wir fünf. Das war mir nun aber herzlich egal. Beswingt von dem Gedanken, dass da eine wirklich ganz besonders eindrucksvolle, abwechslungsreiche und einfach nur wunderschöne Tour hinter mir lag, gelangte ich wohlbehalten auf meinen Wilstorfer Hügel zurück.

Erik, und ganz besonders Martin: Vielen vielen Dank für diese tolle Fahrt!

Das Gebäckstück auf dem Titelfoto heißt übrigens "Paris-Brest".

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